snailsOracle – Nico Sebastian Meyer

«Es dämmert, der Nebel hüllt den Garten in einen grauen Schleier. Tau sammelt sich in den feinen Härchen auf Blättern und Blüten, in den Fäden eines Spinnennetzes. Tränen eines neuen Morgens.
Die Schnecke gleitet durch die nassen Gräser.
Sie hinterlässt auf ihrem Weg einen Film aus glänzendem Schleim, dank ihm ist es ihr möglich, glatte, scharfkantige und sogar senkrechte Hindernisse zu überwinden. Im Gepäck trägt sie ihr Häuschen, der Ursprung ihrer spiralförmigen Welt. Es ist ihr Schutz und Last zugleich, die sie geduldig mit sich führt. In langsamen Bahnen umkreist sie die Fixpunkte im Garten. Wie beiläu!g legt sich ihr Schleim wie ein glänzendes Band als Zeichnung über die Welt.
Eine Fliege verfängt sich in den klebrigen Fäden. Die feinen Linien des Netzes zittern unter dem Körper, die Tautropfen tanzen im Licht durchbrechender Sonnenstrahlen, ein bunter Schimmer befällt die Szenerie. Die Spinne umkreist und nähert sich der Beute. Die milchig weissen Spinnenfäden umschlingen den kleinen schwarzen Leib.
Das Fenster ist geöffnet, die kalte Luft streicht über die Haut. Im Licht der Sonne, welche kurz durch den Nebel dringt, blitzen in mattem Silber die schleimigen Spuren der Schnecken auf. Scheinbar
wahllose Orte haben sie miteinander verleimt und so eine Karte ihrer nächtlichen Wanderungen hinterlassen. Die P"anzen neigen sich im feuchten Licht zueinander, und der Tau, gesammelt in den
Tiefen ihrer Blätter, tropft still auf die Erde herab. Das Fenster ist geöffnet, doch die Scheiben bleiben.»

– Jürgen Baumann