Kulturmagazin Coucou · Polynja
Die Bäckerei. Sargin. Der Supermarkt. Alles zu. Verriegelt. Versiegelt von meterhohem Schnee.
Schnee auf der Strasse. In der Unterführung. Vor dem grauen Turm. Doch
hinter Stein und Glas versteckt –
flackernder Schein. Verschwommenes Licht. Eine Zuflucht.
Ein offenes Lokal. Hier sehen sie sich wieder. Die vor der Kälte fliehen und wir. Haben unseren dünnen Faden getrennt. Sind voreinander weggerannt und vor dem Eis. Und jetzt?
Die letzten Meter. Im Schatten der Betonfassade. Eine Gerade. Sie treibt mich im Kreis herum. Die Eisdrift vor dem grauen Turm. Stecke steif und fest darin auf allen Vieren unter den Busdrähten im Wind. Sie singen laut, hängen herab und peitschen mich über den Asphalt. Zwischen Busgerippe und Autowrack.
Ich richte mich auf, halte mich an einer Motorhaube fest. Strecke meine Fühler aus. Laufe an der schweren Holztür auf. Ich halte mich dagegen, gegen ihr Gewicht. Ein Schneehauch weht mich herein. Ich huste. Rauch hängt mir im Gesicht. Und schwere Luft und Eisblumen an den Scheiben. Sie verschleiern den Blick nach draussen.
Das hier ist ein sicherer Hafen. Abgeschirmt vom Tosen und Rasen des Windes und der Kälte. Und zwischen Seemannsgarn und Souvenirs – Halbstumme Geister, die da sitzen und schweigen. Oder sirren und summen. Dort eine kleine Gruppe. Dicht an dicht mit schweren Mänteln. Berühren sich ihre Schultern, im Takt des dünnen faden Klangs nach dem sie schunkeln.
Die Anderen hier? Einer davon bist du. Sie kehren sich in sich an ihren Holztischen. Flammen zischen ihnen um die Augen, legen Schatten in ihre Höhlen und Falten-Gebirge. Darin kann man sich verstecken und verlieren. In ihren Flanken wird nicht jede Absicht belichtet. Sondern in Aschenbechern und Bierkrügen ertränkt.
Ich laufe langsam durch das Lokal. Setze mich neben dich. Du betrachtest mich. Die geschälte Haut, die wohl abblättert, sich aufbaut auf den Riemen. Du hebst deine Hand, streckst deinen Finger, zeigst auf mich, berührst meine Nase, die Spitze, den kältesten Punkt in meinem Gesicht. Du sagst, du traust dich nicht, weisst nicht, was du darfst, was recht ist. Wir kennen uns viel zu schlecht, als dass wir wissen könnten, wie sich unsere Risse kitten liessen. Ich sage, du darfst mich in die Arme schliessen. Dann stehe ich auf und mache es selbst.
Wir starren an die schwere Holztür. Den Ausgang. Wir halten uns und harren aus. Am Tresen bestelle ich zwei warme Bier mit Honig
Ein warmes Bett –
Und ich hoffe, dass dieses Lokal auch ein Gasthof ist.
ZUSATZINFOS
Marc Herter studiert am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Er interessiert sich für Eis und Schnee und das Zentrum Töss als unwahrscheinliche Wärmeinsel.
Nina Hsu studiert Architektur, kuriert Velo und sieht die Sachen nicht so schwarz weiss wie sie zeichnet.
In der Rubrik «Durcheinander» widmen sich Autor*innen poetographistischen Gedanken. Sie verfassen Texte, in dem sie ein Eydu (oder mehrere) entfalten und durcheinander in Bezug setzen. Der Text und das Bild beziehen sich auf folgende Eydus: «Kachelofen an, / nachts frieren, nirgends bin ich / lieber als bei dir – Wärmheim, Feldeggstrasse» (Julius Schmidt) und «Fussstapfen im Schnee / Vergangenheit aufwühlen / Spuren unsrer Zeit – Klosterstrasse» (Sandra Biberstein)