Zugegeben: Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nicht über den Merkurplatz berichten. Ich wollte über die Sternwarte schreiben und den vorerst letzten Teil der Ort-Serie des Coucou mehr oder minder melodramatisch mit dem Blick in die Unendlichkeit («und noch viel weiter!») beenden. Aufgrund der aktuellen Lage bleibt die Sternwarte Eschenberg allerdings vorerst geschlossen und dieser Text bezieht sich deshalb nur auf einen einzigen Planeten, dafür aber den sonnennächsten und Namensgeber ebenbesagten Ortes. Im übertragenen Sinne passt die Nähe zum brennenden Stern – auch wenn der Merkurplatz längst kein «sozialer Brennpunkt» mehr ist. Trotzdem gibt es wahrscheinlich keinen Platz in Winterthur, über den in der Vergangenheit so oft berichtet oder diskutiert wurde.
Den Merkurplatz nennen Winterthurer*innen selten beim Namen, für viele ist er vermutlich einfach «der Platz vor dem Manor», beim Musikpavillon, oder halt dort, wo Yosry seine feinen ägyptischen Falafel verkauft. Vor allem über Mittag ist der Platz bevölkert, die Kulturen vermischen sich im und während des Essens, es gibt indische, italienische, thailändische oder schweizerische Spezialitäten. Und erst kürzlich, Mitte August, wurde der sanierte Merkurplatz eingeweiht. Anstelle der alten, kreisrunden Sitzbänke aus Betontrögen mit Pflanzen in der Mitte stehen dort jetzt neue, geometrische Bänke aus «Winterthurer Käferholz» sowie Pflanzen und Bäume in Metallfässern. Ein sogenannter «Urban Forest» sei das.
Aber nicht alles hat sich verändert. Die Installation «Stadtspielwerk» des Winterthurer Künstlerduos ChrisPierre Labüsch ist geblieben. Zur vollen Stunde lassen sich bei der elf Meter grossen Eisenplastik mechanische Bilder betrachten, die an die Industriegeschichte der Stadt erinnern (sollen). Auch der Musikpavillon ist geblieben, nur seine Sitzgelegenheit ist jetzt weg. «Die Bank war in schlechtem Zustand und wurde deshalb abmontiert. Es ist aktuell kein Ersatz geplant», steht in der Antwort von Stadtgrün Winterthur, als ich nachfrage, warum die einzige überdachte Bank beim Musikpavillon verschwunden ist.
An den schlechten Zustand der Bank kann ich mich nicht erinnern. An den schlechten Ruf des Ortes schon. Ich erinnere mich an das blaue Licht im Manor-WC und an «grosse Menschen», also Erwachsene, die mit leeren Augen auf der Treppe beim Parkhauseingang sassen, und denen ich als Kind ausgewichen bin. Vor allem am Anfang dieses Jahrtausends gab es immer wieder Vorkommnisse, dort, beim Musikpavillon, eine «Szene», in der konsumiert und gedealt wurde. Dann folgten polizeiliche Massnahmen, die Situation wurde ruhiger, die Menschen am (sogenannten) Rande unserer Gesellschaft wurden noch weiter weg gedrängt, an andere, neue Orte, sodass ich beim Mittagessen von meinem «9 bis 5 Uhr»-Bürojob nicht daran erinnert werde, dass auch in der Schweiz Armut und Sucht existieren – ausser natürlich während des Albanifests oder an der Fasnacht. Dann stehen auf dem Merkurplatz nämlich Zelte und auf Tischen Menschen, die der gesellschaftlich akzeptierteren Droge Alkohol (und Kokain) frönen. Während des Umbaus des Platzes wurde die aktuelle Szene in den Stadtpark vor das «Tres Amigos» verschoben, neue Holzbänke und sogar ein Toitoi wurden hingestellt.
Die Bänke bleiben.
Nur nicht die beim Musikpavillon, auch wenn genau diese Bank sich schon fast historisch angefühlt hat. Nicht nur deshalb, weil dort früher auch «Rap im Stadtpark» stattgefunden hat, sondern eben vor allem wegen der Szeni-Vergangenheit. Vielleicht wird da zurzeit auch versucht, mit den negativen Assoziationen aufzuräumen, die Spuren der Vergangenheit zu verwischen oder gar auszulöschen. Nicht nur die Menschen sind nicht mehr sichtbar, sondern jetzt eben auch die Geschichte des Ortes. Irgendwie traurig. Menschen, die Menschen «am Rand der Gesellschaft» unsichtbar machen wollen, sind vermutlich auch die, die den Pizzarand nicht essen und so vergessen, dass der Rand aus den gleichen Zutaten wie der Boden be