Das Zitat aus Walthers «Musicalischem Lexicon» ist vielleicht etwas pathetisch formuliert, vermittelt aber eine sehr schöne Vorstellung von dem, was hinter der musikalischen Vortragsbezeichnung steht. Eine Vortragsbezeichnung gibt den Interpret*innen die Anweisung, wie sie eine Stelle zu spielen haben. Hierzu gehört zum Beispiel «forte» (kräftig, laut) oder dessen Gegenpol «piano» (sanft, leise, behutsam). Dazwischen gibt es Abstufungen wie «mezzoforte» (mittellaut) oder «mezzopiano» (mittelleise) sowie die Steigerungen «fortissimo» (äusserst kräftig) oder eben «pianissimo» (äusserst leise). Während die Bezeichnungen «forte» und «piano» tatsächlich in erster Linie als Richtwerte zur Lautstärke dienen, zwingen einen die Extreme «fortissimo» und «pianissimo» zu einer tieferen Interpretation, die weit über die technischen Definitionen von «sehr laut» oder «sehr leise» hinausgehen müssen. Wie der Pianist Alfred Brendel bemerkte, steht bei Beethoven ein «piano» schlicht für «leise». Schreibt Beethoven aber «pianissimo», so ist dies vielmehr eine Charakterangabe. Das «dritte Echo», wie es Walther beschreibt; der Klang «zergeht in der Luft», ist also fast nicht mehr wahrnehmbar, nur noch mit äusserster Konzentration und Hingabe. Ein «pianissimo» ist also nicht lediglich die leisere Variante des «piano», sondern verlangt eine intensivere Spielweise und phantasievollere Klanggebung. Es beschreibt ein zärtliches Flüstern oder einen letzten Lebensatem, kann in sphärische Weiten entschweben oder einen endgültigen Schlusspunkt besiegeln. Ein schönes und intensives «pianissimo» ist für eine*n Spieler*in mitunter das Anspruchsvollste. Gelingt es, sind dies die eindrücklichsten musikalischen Momente.
Erklärt von: Christian Erny, Pianist und Dirigent aus Winterthur