Leidenschaft auf Sand

Schnelle Pässe, kurze Strecken, kunstvolle Fallrückzieher – und eine sehr kurze Saison im Juni und Juli. In Winterthur sind gut 60 Spieler*innen dem Beachsoccer verfallen, einer Randsportart, die vom Engagement vieler lebt. Hanna Widmer hat den Beachsoccer Club Winti Panthers beim ersten Outdoor-Training des Jahres besucht. Damit eröffnet sie eine dreiteilige Artikelserie, in welcher sie euch Randsportarten in Winterthur näherbringt.

350 Tonnen Sand

 

Ende April. Wolken am Himmel, zwischendurch ein paar Regentropfen, Temperaturen wie im Februar. Der Winter hält nochmals Einzug. Auf der Sportanlage Deutweg ist noch wenig los an diesem Dienstagabend. Vor der Eishalle stehen die Spieler*innen des Beachsoccer Clubs (BSC) Winti Panthers. Etwas mehr als ein Dutzend von ihnen haben sich zusammengefunden, um den Start in die Outdoor-Saison einzuläuten. Auf dem Programm steht heute in erster Linie aber nicht ein Training, sondern das Spielfeld saisonbereit zu machen. Bedeutet konkret: die beiden Tore aufstellen, die vier Ecken und das Spielfeld markieren – und das alles wetter- und windfest machen. Die nächsten Monate wird hier fast jeden Tag auf Sand gekickt. «Das Feld ist während der Wintersaison ein Eisfeld, im Frühjar wird es jeweils mit Sand bedeckt», erzählt Michael Schellenberg, ehemaliger Vize-Präsident des 2007 gegründeten Vereins und heute Junior*innen- und Frauenteam-Trainer. Anfangs waren die Spieler*innen des Eishockey-Clubs Winterthur nicht allzu begeistert von den Beachsoccerspieler*innen – es gibt Schöneres, als Sand in Kufen und Kanalisation vorzufinden. Weil das Beachsoccerteam aber mit so viel Leidenschaft und Wohlwollen auf die Eishockeyaner*innen zugegangen sei, würden sie unterdessen gut miteinander klarkommen, erzählt Michael weiter. Wie viel seiner Zeit er in den Verein steckt, hat er noch nie so genau ausgerechnet. Aber das Leben ausserhalb seines Jobs als Sigrist/Hauswart bei der reformierten Kirche in Zürich bestehe schon zum grössten Teil aus Beachsoccer. Welch grosse Rolle der Sport in seinem Leben einnimmt, habe er damals gleich schon beim Bewerbungsgespräch klargemacht. «Mittwochs zum Beispiel muss ich um 15:30 Uhr gehen können, damit ich um 17 Uhr die Junior*innen trainieren kann», sagt der gelernte Geräteinformatiker. Er selbst findet in der Sportart auch seinen sozialen Ausgleich. Zweimal in der Woche trainiert er das Frauenteam, einmal die Junior*innen. Dazu kommen Trainingsvorbereitung und im Sommer die Spiele an den Wochenenden. Am Samstagmorgen steht er manchmal als Spieler im Herrenteam auf dem Feld. Auch die übrige Vereinsarbeit wie beispielsweise Event-Organisation, Generalversammlungen oder Materialbewirtschaftung braucht nochmals Zeit.

 

Alle Spieler*innen der Winti Panthers würden sehr viel Engagement und Leidenschaft mitbringen, sagt Michael Schellenberg über den Verein. Das ist wichtig, weil die Sportart nur wenig finanzielle Unterstützung oder Sponsoring bekommt – wie viele Randsportarten in der Schweiz. «Wir sind alle mit Herz und Seele dabei: Beim Spielen, aber auch beim Organisieren von Events oder Meisterschaften», sagt er. Die Szene sei auch zu klein, als dass man rein spielerisch grosse Ambitionen hegen könnte: Tatsächlich Geld daran verdiene kaum ein*e Spieler*in in der Schweiz.

 

«In der Deutschschweiz ist Beachsoccer mittlerweile recht hoch im Kurs», betont Michael. Die Kantone Zürich, Aargau und Luzern gelten als Hochburgen, herausragende Teams gibt es in Birr, Spiez und Emmen. An diesen Standorten werden während der Swiss Beach Soccer League im Juni und Juli Saisonspiele ausgetragen. Winterthur hostet Mitte Juni an zwei Wochenenden Spiele – was erst seit ein paar Jahren möglich ist. Das Beachsoccerfeld in Töss, wo die Winti Panthers früher trainierten, war zu klein für Wettkämpfe. Zudem war bei den Vereinsmitgliedern der Wunsch da, dass die Trainings möglichst spielgetreu gestaltet werden können. Der Kompromiss: Der BSC Winti Panthers darf das Eisfeld am Deutweg zwischen April und Oktober als Outdoor-Spielfeld benutzen. Dafür karren sie den Sand jeweils zu Beginn und Ende der Saison auf das Spielfeld beziehungsweise auf einen Haufen neben der Sportanlage, wo er mit einer Blache zugedeckt bis im drauffolgenden Frühjahr liegen bleibt. Der BSC Winti Panthers ist nebst den Havana Shots aus Birr der grösste Verein der Schweiz und der einzige, der ein Junior*innenteam führt. Deswegen würde es sich langfristig lohnen, ein eigenes Beachsoccerfeld zu haben. «Teuer wäre so ein Feld eigentlich nicht», sagt Michael Schellenberg. Er rechnet mit einmaligen 100'000-150'000 Franken – doch dafür bräuchte es nebst einem verfügbaren Platz auch die Bewilligung der Stadt und viel mehr Sponsoring.

 

Unterdessen werden auf dem Spielfeld mit grossen Schaufeln und vereinten Kräften vier Löcher ausgehoben. «Die Tore müssen auf grossen Eisenplatten im Sand befestigt werden, damit sie nicht umfallen», erklärt Michael Schellenberg. Etwa 60 bis 70 Kilogramm wiegt so eine Platte. Was nach viel Gewicht klingt, erblasst im Vergleich mit der Menge Sand, die da liegt: sage und schreibe 350 Tonnen. Eine Gartenbaufirma ist Sponsorin und transportiert den Sand zweimal pro Jahr zum halben Preis vom Eisfeld auf die andere Seite der Sportanlage und wieder zurück. Ein kleiner Teil wird von der Stadt berappt, für den Rest kommt die Vereinskasse auf.

 

Kurz und heftig

 

Noch ein letztes Mal misst Spieler Silvan die Abstände zwischen den Eckpfosten und den Markierungen auf der Grundlinie, dann stemmen viele helfende Hände gemeinsam das Tor auf die Platten und fixieren es. Fast geschafft. Noch fehlen ein paar Backsteine, um die blauen Spielfeldlinien an den Ecken zu befestigen. Anders als beim klassischen Fussball ist der Strafraum ein Rechteck von 9 Metern ab Grundlinie, begrenzt durch die Seitenlinien. Darin dürfen die Torhüter*innen den Ball in den Händen halten. Zwischen 26 und 28 Metern breit und 36 und 38 Metern lang ist das ganze Feld – etwa ein Drittel eines normalen Fussballfeldes. Ganz genau vorgegeben sind die Masse jedoch nicht. Selbst an offiziellen Spielen variieren Grösse und Länge des Felds.

 

Ein Spiel dauert dreimal zwölf Minuten und ist sehr intervallreich. Gerade deswegen gibt es keine Beschränkungen für Wechsel, welche alle zwei bis drei Minuten gemacht werden müssen, um die Energie aller Spieler*innen gut einzuteilen. Gespielt wird barfuss und ohne Schoner, deswegen ist die Toleranzgrenze für Fouls sehr tief. Der Ball lässt sich irgendwo zwischen Fuss- und Volleyball verorten. Offside gibt es im Beachsoccer nicht, genauso wenig wie eine Mauer beim Freistoss. «Das macht das Spiel recht gefährlich», sagt Michael Schellenberg. Weil der Sand jeden Pass gleich ausbremst oder unkontrollierbar macht, werden Pässe tendenziell hoch gespielt. Fallrückzieher werden oft gemacht, diese dürfen aber aus Gründen der Unfallgefahr nur passiv verteidigt werden. Der Einwurf passiert mit Händen oder Füssen, Auskicken dürfen die Torhüter*innen nicht. Vier Sekunden lang dürfen diese im eigenen Strafraum im Ballbesitz sein, genauso lang wie für eine Ecke oder einen Einwurf gebraucht werden darf. So wird das Spiel schnell und attraktiv.

 

Viel Arbeit auf vielen Schultern

 

Nebst gemeinsamen Trainings wird jedes Jahr in der zweiten Frühlingsferienwoche der gesamte Verein in den Bus gepackt und ins Trainingslager gefahren – dieses Jahr ging es nach Pisa. Das Trainingslager ist jeweils der Kick-Off für die Outdoor-Saison – und eine Gelegenheit, sich im Verein besser kennenzulernen. Immerhin spielen 37 Spieler und 27 Spielerinnen bei den Winti Panthers. «Sicherlich gibt es auch Clubs, in denen nur die Besten aufgenommen werden», sagt Michael Schellenberg. In Winterthur ist die Vereinsphilosophie aber eine andere: «Wir möchten allen, die wirklich wollen, ermöglichen, bei uns zu spielen.» Dass das zu grossen Niveauunterschieden führen kann, ist ihm bewusst. Dennoch gewichtet er das «Drumherum» höher. Denn wenig Arbeit ist es nicht – und je mehr Schultern da sind, um sie zu tragen, desto besser. Das zeigt auch die Tatsache, dass an diesem doch sehr kalten Tag ein Dutzend Spieler*innen auf dem Platz stehen und das Spielfeld vorbereiten.

 

Die Füsse der Reporterin werden langsam kalt, doch vielen der Beachsoccerspieler*innen ist die Kälte nicht anzusehen – die meisten stehen in Neoprensocken im nassen Sand. Neben dem Schienbeinschoner-Verbot ist auch diese zusätzliche Schicht an den Füssen bei offiziellen Spielen nicht gestattet - Zehen und Fersen dürfen nicht bedeckt sein. «Trotzdem passieren beim Beachsoccer praktisch keine Unfälle», sagt Serina Perea. Sie selber hat vor 10 Jahren vom Rasen auf den Sand gewechselt und ist heute Captain des Frauenteams. «Häufig sind jedoch Zehenbrüche – und die können recht fies sein.» Letztes Jahr hat es Vize-Captain Michelle Tischer gleich beim ersten Spiel erwischt: Trümmerbruch, Saison vorbei. «Weil die Saison so kurz ist, bedeutet so eine Verletzung meistens, dass man ein ganzes Jahr auf das nächste Spiel warten muss», erklärt Serina. Seit Januar bereitet sie sich mit dem Frauenteam auf die Saison vor. Gleich zu Beginn des Jahres gab es für jede Spielerin einen Leistungstest in Kondition und Kraft, um Anhaltspunkte für mögliche Verbesserungen erkennen zu können. Dann hat sich das Team in einem Kombitraining von Muskelaufbau und Kondition sowie technischen Skills in den letzten Monaten fittrainiert. Von Spielerin Helen Nauer kommen physiotherapeutische Tricks dazu, Trainer Michael Schellenberg bringt sein technisches und taktisches Wissen und Können mit ein: Passvarianten, Ballannahmen, Ballverarbeitung. Trainings und Spiele sind mitunter psychisch intensiv. «Zum ersten Mal gab es für diese Saison ein mentales Coaching», erzählt Serina. Unter anderem geht es dabei darum, Leistungen auch unter Druck abrufen zu können. Beim Mentaltraining werden ebenso die Wettkampfwochenenden gedanklich durchgespielt: Anreise, Vorbereitung, erstes, zweites, letztes Drittel, Fokus setzen – alles Dinge, die Unmengen an Konzentration und Energie erfordern.

 

Wo ist denn hier das Licht?

 

Auf dem Beachsoccerfeld haben die Spieler*innen nun auch das gegenüberliegende Tor aufgestellt. Einige können es kaum erwarten und wärmen sich schon mal mit dem Ball auf. Kurz nach 20 Uhr zeigt sich am Himmel noch so etwas wie Sonne – kalt bleibt es trotzdem. «Haben wir eigentlich Licht?», ruft jemand in die Runde. Sieht nicht so aus. Die Anfrage müsse beim Hauswart des Sportplatzes deponiert werden. «Aber eigentlich sollte das doch mit der Platzreservation automatisch passieren?», fragt sich Michael. Wie auch immer: Licht gibt es heute Abend wohl keins mehr.

 

Schon fast ist es dunkel – aber die beiden Tore stehen, die Linien sind gezogen. Noch ein letzter elastischer Gummizug wird geopfert, um die Aussenlinie an einem Eckpfosten zu fixieren. Ein paar Spieler*innen holen Equipment aus Michaels Auto. Die restliche Zeit des Abends wird gespielt: Ein «richtiges» Beachsoccerspiel nur mit den Füssen gibt es nicht, das wäre zu kalt für die Zehen, die nun doch schon seit fast zwei Stunden in den Sandsocken stecken. Stattdessen wird eine Mischung aus Hand- und Fussball gespielt: Gefangen wird der Ball mit den Händen, die Pässe werden mit dem Fuss gekickt. Das Spiel ist schnell und konzentriert, die Spieler*innen sind konstant in Bewegung, es gibt nur wenig Zeit, um sich auszuruhen. Doch Müdigkeit ist nicht der Grund, warum das Spiel nach einer knappen halben Stunde abgepfiffen wird – Schuld daran ist die Dunkelheit. Weiterspielen hätten die Winti Panthers noch lange können. Das überrascht nicht: Die Saison ist bekanntermassen sehr kurz. Und sie hat gerade erst begonnen.

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