Es ist ein Leben auf Messers Schneide, «eine total allumfassende, nicht rückgängig zu machende Mitgliedschaft». Mahi Binebine erzählt in «Der Hofnarr» die Geschichte seines eigenen Vaters. Was – auch dem üppigen Erzählstil geschuldet – wie ein orientalisches Märchen klingt, verbirgt unter der Oberfläche eine brutale, wahre Geschichte. Erst allmählich sickert durch: Weil sich der Sohn des Erzählers an einem Aufstand beteiligt hat, sitzt er seit 20 Jahren in einem der berüchtigten Wüstengefängnisse des Königs. Und je länger die Erzählung fortschreitet, desto deutlicher wird, dass sie eine Art Geständnis ist, eine Entschuldigung und Rechtfertigung gegenüber seiner geliebten Frau Mina, dafür, dass er seinen Sohn wegen seiner Anstellung am Hof öffentlich verleugnen musste.
Die humorvolle, teils fast karikaturistische Erzählung des Lebens am Hof und der Launen des Königs macht in ihrer oberflächlichen Unbeschwertheit umso stärker auf die tragische Geschichte der Familie aufmerksam. Mahi Binebine zeigt, wie nahe Bewunderung und Angst, Genie und Wahnsinn und Witz und Brutalität sein können – und nicht zuletzt feiert er die Kraft der Poesie, des Erzählens als Unterhaltung, aber auch als Überlebensstrategie.
Man muss sich auf diese farbige, überquirlende Erzählung von Binebine einlassen, um deren Tiefe zu entdecken und auch zu verstehen, wie aktuell und nahe die fremd und märchenhaft anmutende Geschichte ist.
«Der Hofnarr» umfasst 200 Seiten und wiegt 284 Gramm.
Martina Keller arbeitet bei den Solothurner Literaturtagen und organisiert Sofalesungen in Winterthur.