Wie Inseln über der Stadt

Wie Inseln über der Stadt

Eine Dachterrasse eröffnet einen neuen Blick auf die Stadt. Was ihre Magie ausmacht, ist jedoch nicht die Aussicht. Abgehoben vom Rest der Welt, hat sie eine verbindende Wirkung.

Dachterrassen scheinen eine magische Anziehungskraft zu haben. Noch nie wurde ich derart oft auf einen meiner Facebook-Beiträge angesprochen. Dabei war das Sujet so ersetzbar wie sonst kein zweites: Die rote Sonne, die hinter einem Hügel versinkt, im Vordergrund ein Geländer und eine Wäscheleine. Ein schönes Bild, um den Freundinnen und Freunden mitzuteilen, dass das neue Zuhause auf Besuch wartet. «Du hast eine Dachterrasse?» Wen ich im Sommer auch getroffen habe, diese Frage kam mit Sicherheit. Selten habe ich erlebt, dass jemand bewundernd fragt, ob man einen Balkon habe. Aber eine Dachterrasse, das scheint etwas Besonderes zu sein.


Besonders auch, weil wir an diesem Ort das Stadtleben mal aus einer anderen Perspektive betrachten können und er das Zusammenleben weniger anonym macht. Wenn man die Nachbarinnen und Nachbarn sieht, dann am ehesten auf dem Haus. Und nicht selten findet sich dann plötzlich Zeit, um gemütlich ein paar Worte zu wechseln. Was die Magie der Terrasse ausmacht, sind die Verbindungen, die sie schafft. Wenn die Sonne einen roten Schein über die Stadt wirft und sich fast zu viele Menschen auf den paar Quadratmetern befinden, sodass man zusammenrücken muss, dann fühlt man sich weit weg von allem und einander sehr nah. In solchen Momenten wünscht man sich, dass es auf jedem Haus eine Terrasse hätte, die die Bewohnerinnen und Bewohner näher zusammenbringt.

 

Geheimtipps aus dem Internet

 

Auch wenn nicht jedes Haus von einer Dachterrasse geschmückt wird, so gibt es in Winterthur doch einige, die zeitweise allen offen stehen. Da wäre zum Beispiel die Zinne oberhalb der Technikumstrasse im Studentenwohnhaus Türmlihuus. Nur wenige Meter entfernt liegt die Terrasse des Jugendhauses. Wer den Blick über die Gleise und die Altstadt schweifen lassen will, dem sei das Gebäude der Musikschule Prova und der Tanzschule Catwalk empfohlen. Im Sulzerareal lässt es sich auf dem Dach der Hochschulbibliothek der ZHAW gut ausspannen – Gratiszugang zu Büchern und Zeitungen inklusive.


Wer bereit ist, für die Aussicht etwas zu konsumieren, der findet im Internet schnell einige Treffer. Als schönste Dachterrasse von Winterthur preist das Hotel Banana City die eigene an und empfiehlt im Sommer an Freitagen und Samstagen den «Grill à discretion». Als Geheimtipp wird die Terrasse vom Restaurant Obergass auf der Bewertungsplattform Trip Advisor gehandelt, und eine der schönsten Aussichten über die Region verspricht die Bar «The View», die oberhalb des «Claudia – House of Sounds» zu finden ist.

Ein ebenfalls atemberaubendes Panorama der Stadt und der Wälder bis hin zu den Churfirsten bietet die Plattform des Brühlberg-Turmes – dort oben ist man fast immer so alleine, dass man sich bald wieder ins gesellige Stadtleben zurücksehnt.

 

Erhabene Insel im Dächermeer

 
Dachterrassen sind Sehnsuchtsorte. Am faszinierendsten sind jedoch diejenigen, die uns unerreichbar erscheinen. Vielleicht befinden sich gar auf den höchsten Gebäuden der Stadt welche, die für uns unsichtbar sind. Dieser Gedanke inspirierte 1987 den Winterthurer Schüler Christof Dejung zur Geschichte «Die Insel», mit der er den ersten Preis zur Förderung von Maturanden der Literarischen Vereinigung Winterthur gewann. Das Dach des Sulzerhochhauses wird zum Garten des neuen Hausmeisters, der sich dort einrichtet: «Bald nach seiner Einstellung begann Maximilian Blöch seine Dachterrasse, die er in Anlehnung an Daniel Defoes Robinsonroman, und mit dem Gefühl ein Schiffbrüchiger zu sein, seine ‹Insel› nannte, zu kultivieren.»


Eine Dachterrasse als Insel – vielleicht ist es ja genau diese Vorstellung, die einen so fasziniert und die regelmässig Freunde zu uns in die Wohngemeinschaft lockt. Zum Frühstück, am Nachmittag oder zum Sonnenuntergang versammeln sich oft Besucherinnen und Hausbewohner auf der kleinen Insel, und wer oben ist, der bleibt erstmal dort – und vergisst die Zeit. Denn auf einer Terrasse fühlt es sich so an, als sei man weit weg vom Stadtleben. Und wer die Augen schliesst, den Wind in den Haaren spürt und einen kühlen Drink geniesst, für den gibt es in Winterthur plötzlich einen See oder gar das Meer.

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