«Die Afro-Pfingsten zeigen ein Bild von Afrika, das sonst in den Medien nicht auftaucht», sagte Gemeinderatspräsident Felix Landolt an der letztjährigen Eröffnung. Ist das tatsächlich so? Afrika an sich gibt es nicht – der Kontinent beheimatet unzählige Kulturen, und auch von einer «afrikanischen» Musik kann man nicht sprechen. Die Afro-Pfingsten beschränken sich denn auch nicht nur auf Afrika, obwohl sie als das grösste Festival für afrikanische Musik in der Schweiz gelten. Ihr Fokus richtet sich schon seit Jahren verstärkt auf die globale Musikszene. Beworben wird das fünftägige Musikprogramm mit dem Begriff «World Music» – ein Genre, welches das Verschmelzen von verschiedenen Musikstilen, vor allem von westlicher Musik (Rock und Pop) mit traditionellen, ethnischen, lokalen und urbanen Musikstilen aus anderen Kulturen, bezeichnet. Gerade mit Blick auf das Programm der Afro-Pfingsten drängt sich die Frage auf: Was wird den Besucherinnen und Besuchern für ein Bild vermittelt? Und was ist unter «Weltmusik» genau zu verstehen?
Das Genre «World Music»
Massenmedial kam der Begriff 1987 auf, als er durch eine gezielte Vermarktungsstrategie von mehreren Vertretern unabhängiger Schallplattenlabels und Journalisten aus London verbreitet wurde. Die Weltmusik sollte damals Bezeichnungen wie «Ethnic», «Tribal», «Folk», «Traditional», «Tropic», «Ambient», «Trance» «New Age Music», «Ethnopop», «Afropop» oder «Afrobeat» unter einem Oberbegriff vereinen. In den 1990er-Jahren setzte sich «World Music» im Mainstream der Musikindustrie vor allem in Europa als auch in den USA durch. Die Ursprünge des Genres gehen auf die 1960er-Jahre zurück. Als Pioniere galten Jazzmusiker wie Tony Scott und John Coltrane, die asiatische, indische und afrikanische Klänge einfliessen liessen. Auch die Beatles oder die Rolling Stones wurden durch arabische und indische Einflüsse inspiriert. Infolge der Bürgerrechtsbewegung in den USA gewannen immigrierte Musikerinnen und Musiker an Bedeutung. Miriam Makeba, in Südafrika geboren und bekannt als Mama Afrika, ist nur eine von vielen, die in jener Zeit zu einem Weltstar wurde – und übrigens auch in den Anfangsjahren des 1991 gegründeten Afro-Pfingsten-Festivals in Winterthur auftrat.
Dieses Jahr präsentieren die Afro-Pfingsten noch immer grosse Weltmusik-Stars: Touré Kunda beispielsweise gehören zu den Pionieren des Genres. Die zehnköpfige Band aus Senegal ist seit 40 Jahren unterwegs und spielt 2018 bereits zum dritten Mal und unter dem Motto «African Legend Evening» an den Afro-Pfingsten. Das Markenzeichen der in den späten 1970er-Jahren gegründeten Band ist übrigens ihr ganz eigener Stil, den sie selbst «Djambaadong» nennen. Dabei reichern Touré Kunda traditionelle afrikanische Musik mit modernen, vielfach elektronischen Sounds an. Auch der jamaikanische Sänger Max Romeo veröffentlichte seinen ersten «Wet Dream» bereits 1969. Er steht am Freitag, 18. Mai, an der «Reggae-Night» zusammen mit seiner Tochter Xana und seinem Sohn Azizzi auf der Bühne in der Reithalle. Die Twinkle Brothers, die am selben Abend auftreten, sind ebenfalls bereits seit den 1960er-Jahren ein fester Bestandteil der Reggae-Szene.
Auch sie verbinden den für Jamaika typischen Musikstil mit anderen traditionellen Musikformen wie beispielsweise der Tantra. Ein weiterer Act ist Femi Kuti Er ist der Sohn von Fela Kuti, dem Miterfinder des modernen Afrobeat, einer Fusion aus Jazz und Funk. Femi startete seine Bühnenkarriere in der Band des Vaters. 1986 gründete er The Positive Force, mit denen er am Sonntagabend während der «African Night» spielt. Im Rahmen der «Latin-Night» lässt sich eine weitere mit Musik-Revolutionären besetzte Band finden: Los Wemblers de Iquitos aus Peru. Die fünf Sanchez-Brüder sollen in den 1960er-Jahren mit ihrem psychedelischen Cumbia Amazónica einen Hype in Südamerika ausgelöst haben. Dank dem Internet wurden sie kürzlich wieder entdeckt, sodass die Band nun erstmals auf Europa-Tournee geht.
Keine neuen Entdeckungen
Erlebt die Weltmusik aktuell ein neues Revival? Oder zelebrieren die Afro-Pfingsten Nostalgie pur? Die Zeiten, als die Afro-Pfingsten in der Halle 53 über 70'000 Besucherinnen und Besucher anlockten, sind definitiv vorbei. Das zeigte sich 2015 deutlich, als das Festival nach mehr als 25 Jahren Konkurs ging. Dass die Afro-Pfingsten nun nach ihrer Wiederaufnahme noch immer auf die altbekannten Namen – oder auch auf deren Söhne – setzt, verwundert. Zwar lassen sich auch Musikerinnen und Musiker einer neuen Generation finden: Vieux Farka Touré steht beispielsweise für diejenigen Bands, die mit ihrem «Wüstenrock» seit einigen Jahren in Europa erfolgreich auf Tournee sind. Bombino, mit dem der 1981 geborene Vieux Farka Touré an den Afro-Pfingsten unter dem Namen «Xsahara Nights» auftritt, gehört da ebenfalls dazu: Der Gitarrist wird in Pressetexten jeweils als Jimi Hendrix der Tuareg bezeichnet.
In Winterthur spielte er letztes Jahr bereits an den Musikfestwochen. Eine neue Entdeckung sind diese beiden aber nicht. Im Gegenteil: Der Vater von Vieux, Ali Farka Touré, zählt seit den 1990er-Jahren zu den grossen Stars der «World-Music»-Szene. Den Durchbruch erreichte er damals mit dem Album «Talking Timbuktu» (1993), für das er mit dem amerikanischen Gitarristen Ry Cooder zusammengearbeitet hat. Ry Cooder ist ebenfalls einer der grossen Referenzen der Weltmusik: Unter anderem hat er das bestverkaufte Album des Genres zusammen mit kubanischen Musikern eingespielt: «Buena Vista Social Club».
Wer sich für Musikgeschichte interessiert, findet vom 17. bis 21. Mai ein vielseitig zusammengestelltes Programm in der Reithalle. Musikalisch spannende Entdeckungen aus Afrika, Südamerika oder auch anderen Regionen dieser Welt macht man aber wohl eher an anderen Festivals.
Afro-Pfingsten
Donnerstag, 17. Mai bis Montag, 21. Mai
Eintritt: CHF 65 bis 25 (je nach Abend)
Reithalle Winterthur
www.afro-pfingsten.ch
Bildlegende: Er gilt als der Jimi Hendrix der Tuareg: Bombino. An den Afro-Pfingsten tritt er zusammen mit Vieux Farka Touré unter dem Namen «Xsahara Nights» auf.