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Veränderungen am Obertor

Entwickelt sich Winterthur zur Luxusstadt? Vor kurzem kommunizierte der Stadtrat seine Strategie zur Wohnpolitik. Kritisiert werden daran vor allem die Pläne zum Obertor-Areal.

Nach einer Überprüfung der Winterthurer Wohnpolitik zog der Stadtrat Bilanz: Der Wohnungsmarkt sei dynamisch und Winterthur gelte als attraktive Wohnstadt. Trotz des positiven Fazits sieht die Stadtregierung vor allem im Bereich der aktiven Förderung von Wohnungen im hohen Preissegment Handlungsbedarf. Mit dem Bau von vermehrt teuren Wohnungen in Winterthur erhofft er sich den Zuzug von wohlhabenden Einwohnerinnen und Einwohnern, was die Einnahme von zusätzlichen Steuergeldern begünstigen soll.

 

Die Strategie, Steuerpolitik über den Wohnungsbau zu betreiben, ist nicht neu. Schon in den 2000er-Jahren verfolgte der Stadtrat eine ähnliche Wohnbaupolitik. Die erhofften Resultate blieben jedoch aus. «Es ist eine Illusion, dass plötzlich mehr reiche Leute nach Winterthur ziehen», erklärt Katharina Gander, Geschäftsleiterin des Mieterverbands Winterthur und AL-Gemeinderätin. Trotz des in Vergangenheit gescheiterten Versuchs, hält der Stadtrat an seinem Vorhaben fest. «Die Absicht dahinter, mehr steuerkräftige Leute nach Winterthur zu bringen, ist grundsätzlich positiv. Somit kommt mehr Geld in die Kasse, ohne den Steuersatz zu erhöhen», sagt der Winterthurer SVP-Parteipräsident Simon Büchi zur Strategie. Es sei aber wichtig, dass man den freien Markt weiterhin agieren lasse. Auf Seiten der SP steht man dem Vorhaben kritisch gegenüber. «Die Idee der Stadt, dass man mit mehr Steuerzahlenden Finanzpolitik betreiben kann, geht nicht auf. Das bisschen mehr Steuereinnahmen, das man machen würde, geht durch den Finanzausgleich gleich wieder verloren», erklärt Christa Meier, SP-Gemeinderätin.

 

Der Stadtrat ist der Ansicht, in Winterthur gebe es zu wenig Wohnungen im hohen Preissegment. Eine Analyse des Wohnmarkts hat gezeigt, dass jährlich zwischen 500 bis 800 neue Wohnungen auf den Markt kommen. Von den Neubauten gehören 70 Prozent in das mittlere Preissegment. Betrachtet man die Wohnungsinserate in Winterthur, fällt auf, dass es viele freistehende Wohnungen im höheren Preissegment gibt. «Ich verfolge den Wohnungsmarkt in Winterthur sehr genau. Teure Wohnungen tummeln sich sehr lange auf Homegate. Das bestätigt auch die Seite der Vermieter. Es ist nicht einfach, hochpreisige Wohnungen zu vermieten», erklärt Katharina Gander. Teure Wohnungen entsprechen nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung. Christa Meier teilt Ganders Ansicht: «Die Nachfrage im hohen Segment ist nicht gross. Der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen für Studierende, Familien oder Leute, die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beziehen, ist hingegen sehr hoch.» Hier sieht Meier die Verantwortung der Stadt. Das Anbieten von teurem Wohnraum gehöre nicht dazu: «Besteht der Bedarf danach, können ihn Private selber schaffen.»

 

Mission und Vision Obertor

Im Fokus der neuen Wohnstrategie stehen städtische Areale wie das Obertor, die Hochwacht und der Maria-Kübler-Weg. Kritisiert werden insbesondere die Pläne für das Obertor. Mit dem voraussichtlichen Wegzug der Stadtpolizei Ende 2022 wird im oberen Teil der Winterthurer Altstadt viel Raum frei. Eine alternative Stadtentwicklungsgruppe, der AL und SP angehören, hat am 27. März 2017 eine Interpellation zur Umnutzung des ehemaligen Polizeigebäudes eingereicht. Die Initiantinnen sehen in dem Areal grosses Potenzial mit einer starken Auswirkung auf die Atmosphäre der Altstadt. Der Standort sei ideal für nachhaltige Projekte, die den Charakter des Obertors bewahren und stärken könnten. «Es ist eine Riesenchance, so ein grosses Areal mitten in der Stadt zu entwickeln», sagt Katharina Gander.

 

Die Antwort des Stadtrates auf die Interpellation folgte am 20. September. Das Obertor werde als belebtes, gemischtes Quartier gestaltet, das die Attraktivität der Altstadt steigern solle, heisst es darin. Dafür sei ein Planungsprozess im Gange, bei welchem verschiedene Möglichkeiten geprüft würden. Der Stadtrat weist darin auch auf die hohe Lagequalität des Areals hin, die für den Bau von Wohnungen im höheren Preissegment spreche. Ausserdem stelle das Obertor keine attraktiven Voraussetzungen für gemeinnützige Wohnbauträger dar, da erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz notwendig seien und relativ wenig Wohnraum realisierbar sei. Laut Katharina Gander sind Genossenschaften gute Partner, um so ein Projekt zu entwickeln.

 

Nach der Stellungnahme des Stadtrates entschied die Stadtentwicklungsgruppe, eine Initiative zu prüfen. Diese soll den Verkauf des Obertor-Areals an profitorientierte Unternehmen verhindern. «Die Initiative steckt noch mitten in der Planungsphase. Voraussichtlich werden wir aber Anfang 2018 mit dem Unterschriftensammeln beginnen können», sagt Katharina Gander. «Das Grundstück am Obertor soll weiterhin in städtischem Besitz bleiben und bei der Vermietung oder Abgabe im Baurecht keine Gewinnmaximierung erzielen.» Laut Gander soll bei der Entwicklung darauf geachtet werden, dass ein lebendiger Mix aus unterschiedlichen Nutzungen entsteht, der einer breiten Winterthurer Bevölkerung zu Gute komme. Auch Übergangslösungen und Zwischennutzungen seien dabei denkbar. «Man muss das alles im Detail anschauen und sich für eine gute Lösung Zeit lassen», so Gander.

 

Ideen zu einer alternativen Gestaltung des Obertor-Areals gibt es einige. Bereits 2012 wurden drei Studien vorgelegt. Durch die Verzögerung des Wegzugs der Polizei wurden die vorbereitenden Planungen jedoch unterbrochen. Nun sind sie wieder aktuell. Die Vision für das Quartier «ObertorPlus» von damals lautet: Ateliers für Kunstschaffende, ein Boutique-Hotel, ein Neustadtplatz oder ein Hammam. «Die Idee von einem Hammam beim Obertor finde ich sehr gut, da man so wieder auf die Geschichte der früheren Badeanstalt zurückkommt», sagt Christa Meier. Wichtig sei, dass man alle Möglichkeiten in den Prozess zur Gestaltung des Obertor-Areals miteinbeziehe. «In den Prozess muss auch ein breites Spektrum von Leuten eingebunden werden, die ihre Ideen einbringen», so die SP-Gemeinderätin. «Vielleicht braucht es beim Obertor auch einfach Zeit, um zu schauen, was entstehen kann.» Trotz verschiedenster Visionen zum Areal sind sich alle einig, dass die Gestaltung des Obertors gut auf Winterthur abgestimmt werden muss. «Der Charakter der Altstadt muss bewahrt werden», sagt auch SVP-Politiker Simon Büchi.

 

Die Altstadt aufzuwerten, zu beleben und trotzdem den Charme und Charakter zu erhalten, sind bei diesem Projekt die Herausforderungen. Das Areal hat aber definitiv das Potenzial dazu. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung dazu angehört und wahrgenommen werden, meint Simon Büchi: «Die Stadt muss beachten, dass sie nichts macht, wogegen die Mehrheit der Bevölkerung ist.» Dafür müsse man allen Ideen gegenüber offen sein, sagt auch Christa Meier. «In den Prozess müssen viele verschiedene Leute eingebunden werden.» Somit sollen möglichst viele Bedürfnisse aufgenommen werden.

 

Beitrag zur Stadt- und Quartierentwicklung

Ideen für ein zukünftig belebtes Obertor Quartier hat auch der Verein «Inzwischen». Seit 2014 vermietet er Räume und Objekte zur Zwischennutzung. Der Verein spricht insbesondere die Kreativwirtschaft an und hat daher vor allem mit Suchenden aus diesem Bereich zu tun. «Das geht von kreativen Startups über Kunstschaffende, Grafikerinnen, Fotografen bis Musikerinnen oder Veranstalter», erklärt Jane Wakefield vom Vereinsvorstand. Das Ziel dahinter sei die Ermöglichung von erfolgreichen Zwischennutzungen mit positiven Auswirkungen auf das Stadtleben, die Kultur und Kreativwirtschaft. «Inzwischen» betreibt zurzeit eine Umfrage, um die Bedürfnisse nach freien Räumen in der Stadt zu evaluieren. Die Teilnehmenden werden mit ihren erfassten Bedürfnissen in die Datenbank des Vereins aufgenommen und bei passenden Objekten benachrichtigt. «Zwischennutzungen generieren grundsätzlich vielseitige gesellschaftliche und ökonomische Werte.» Damit leiste der Verein einen Beitrag zur Stadt- und Quartierentwicklung und erzeuge Identifikation, so Jane Wakefield. «Inzwischen» schafft eine temporäre Lösung für leerstehende Räume. Das geschieht etwa im ehemaligen Spar Supermarkt am Obertor. Der Vormieter zog Ende April aus, das Ladenlokal stand lange Zeit leer. «Wir sind momentan am Aufgleisen einer Zwischennutzung im ehemaligen Spar», erzählt Jane Wakefield. Um in Zukunft mehr innovative Projekte durchführen zu können, ist der Verein mit der Stadt und anderen Partnern im Gespräch für Liegenschaften. Spruchreif sei aber noch nichts. Auch bezüglich des Obertor-Areals hat der Verein sein Interesse signalisiert.

 

Die konkreten Pläne des Stadtrates für den oberen Teil der Altstadt sind noch nicht bekannt. Der Termin für die Umnutzung ist auf Mitte 2023 angesetzt. Im Communiqué vom 20. September äusserte die Stadtregierung, dass sämtliche Gebäude nach dem Auszug der Stadtpolizei saniert und unmittelbar einer neuen Nutzung zugeführt werden. Dabei fügte der Stadtrat an, dass eine Zwischennutzung einzelner Gebäude denkbar sei. Anfang 2018 sollen die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie vorliegen. Und dann fällt der Stadtrat eine Entscheidung.

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