Das Haus der Kultur feiert 25 Jahre

Die Alte Kaserne ist die meistbesuchte und vielfältigste städtische Kulturinstitution in Winterthur. Am Samstag, 4. November feiert sie ihr Jubiläum mit diversen Attraktionen.

Vor dem Bistro der Alten Kaserne sind alle Plätze besetzt, die Gäste tauschen sich angeregt aus – doch zu hören ist kaum ein Laut. Das Bistro ist an diesem Abend ein «Café des Signes» – so heisst das gemeinsame Projekt der Alten Kaserne und der Gehörlosen-Selbsthilfe «sichtbar Gehörlose Zürich». Um eine Cola zu bestellen, brauche ich nur eine einzige Bewegung mit der rechten Hand zu machen. Das Servicepersonal versteht mich, obwohl kein Wort über meine Lippen kommt. Via iPad und Bildschirmen werden die Handbewegungen für Getränke und Speisen dargestellt. So kann ich als Hörende, die der Gebärdensprache nicht mächtig ist, problemlos an der Bar bestellen.

Gleicher Ort, ein paar Tage später. Kurz nach 8 Uhr morgens fahre ich auf dem Weg ins Coucou-Büro an der Alten Kaserne vorbei. Draussen stehen ein paar Personen und diskutieren über die Veranstaltung, die soeben zu Ende ging. Seit 20 Jahren lädt Schauspieler Manfred Heinrich zur «Frühschicht», einer Lesung mit Kaffee und Gipfeli, die jeweils mit Musik und Gästen um 6:30 Uhr morgens beginnt. Ein schöner Start in den Tag – und ein Angebot, das auf Interesse stösst. «Die Lesung hat ein Stammpublikum von 30 bis 40 Personen», sagt Giella Rossi, die seit 2007 das Kulturzentrum leitet. Die zwei Anlässe zeigen bereits die Vielfalt des Angebots auf. Und so divers wie die Veranstaltungen, scheint auch das Publikum zu sein.

  

Institution ohne Zielpublikum

Wer zu den typischen Besucherinnen und Besuchern der Alten Kaserne gehört, lässt sich pauschal nicht sagen. «Wir haben kein Zielpublikum», erklärt Giella  Rossi. Am 7. November 1992 wurde die Alte Kaserne eröffnet und ist seither offen für alles sowie jede und jeden. Nun steht das 25-Jahr-Jubiläum vor der Tür: Am Samstag, 4. November lädt der städtische Betrieb zum Fest. «Die Jubiläumsfeier soll alle Nutzerinnen und Nutzer der Alten Kaserne zusammenbringen», wünscht sich Giella Rossi. Keine einfache Aufgabe, denn im Jahr finden rund 5’500 «Nutzungen» im Kulturzentrum statt – von privat bis kulturell-integrativ. Aufgeschlüsselt sind es 1’600 Einzelveranstaltungen, ansonsten wird die Alte Kaserne von Vereinen beansprucht, die wöchentlich einen Raum brauchen sowie von fixen Mieterinnen und Mietern. Vom Ärzteseminar über die regelmässigen Spielanlässe der Schachgesellschaft Winterthur und die Veranstaltungsreihe «Kochen und Essen» bis hin zur Tanzveranstaltung «Altstadt-Swing» ist alles dabei. In Winterthur wohnhafte Italienerinnen und Italiener kommen beispielsweise ins Kulturzentrum, weil sich hier jeweils am Mittwochnachmittag ein Schalter des italienischen Konsulats befindet.

Das Jubiläum soll diese Diversität sichtbar machen. Einige der regelmässigen Nutzerinnen und Nutzer sind bei der Gestaltung des Fests beteiligt. Im inszenierten Hotelzimmer 103 sind Hotelgeschichten zu hören, die Schauspieler Manfred Heinrich eingelesen und Radiomacher und Autor Dominik Dusek vertont hat. Der Verein Comic Panel zeichnet tatsächliche und fiktive Geschichten, die auf der Vergangenheit und Gegenwart des Hauses beruhen. In der Ausstellung «arTe kaserne» präsentieren 11 der insgesamt 20 Mitarbeitenden ihre Arbeit. Und in einem Kino werden filmische Trouvaillen aus 25 Jahren Kulturzentrum gezeigt. Natürlich gibt es auch etwas zu essen: Im Bistro gibt es als Jubiläums-Special einen Café Gourmand zu geniessen. Mit Fondue, Risotto und Indian-Curry bildet auch das kulinarische Jubiläums-Angebot die Vielfalt des Hauses ab.

 

Aktiv Kultur schaffen

Die Alte Kaserne hat sich in den 25 Jahren als Kulturinstitution etabliert, die aus dem Gesamtbild Winterthurs nicht mehr wegzudenken ist. Seit 1994 bietet die Institution als erstes Lokal überhaupt in der Stadt vegetarische Menüs an. Die Küche ist beliebt, über Mittag ist das Bistro meistens voll besetzt. Das Haus erfüllt die Funktion eines Quartierzentrums und bietet zugleich auch Platz für jegliche Nischen-Angebote. «Der Auftrag des Gemeinderats an den Betrieb lautet, dass das Haus ein niederschwelliger Ort sein soll, der dazu animiert, Kultur aktiv zu schaffen, nicht nur zu konsumieren», sagt Giella Rossi. Jede und jeder soll in der Alten Kaserne den eigenen Anlass veranstalten können: Vereins-GV, Konzert oder Hochzeitsapéro. «Wir freuen uns, dass auch Menschen aus fremden Kulturen die Räume der Alten Kaserne für ihre Projekte nutzen», sagt Giella Rossi. Sie verweist als Beispiel auf den Tag der Völker, der vom Interkulturellen Forum Winterthur sowie von verschiedenen Gruppen von Migrantinnen und Migranten gestaltet wird und der gegenseitigen Verständigung und Begegnung dient.

Abwechslungsreicher Alltag

«Kein Tag ist wie der andere», sagt die Leiterin des Hauses über das abwechslungsreiche Programm. 20 bis 25 Anlässe finden pro Tag in der Alten Kaserne statt: keine einfache Aufgabe, dies zu koordinieren. Im Idealfall sollte das Ärzteseminar nicht gleich neben dem  Raum stattfinden, in dem die Tambouren spielen oder die Stadtmusik probt. «Das lässt sich allerdings nicht  immer vermeiden», sagt Giella Rossi. Im Kulturzentrum stehen Räume unterschiedlicher Grösse zur Verfügung: Vom kleinen Gruppenraum bis zum Saal für  800 Personen sind alle Angebote vertreten. Weil die Bedürfnisse an die Räume sehr unterschiedlich sind, wird Wert auf persönliche Beratung gelegt. Auch die Preise variieren je nach Anlass. «Ein Hochzeitspaar, das einen Apéro für 120 Gäste benötigt, braucht andere Ressourcen als ein paar Jugendliche, die eine Geburtstagsparty mit Kolleginnen und Kollegen machen wollen und ihren Anlass mehr oder weniger selbst organisieren», erklärt die Leiterin.

Während Giella Rossi erzählt, sitzen wir in ihrem Büro. Haustechniker Kilian Schmid kommt mit einer Frage zur abendlichen Veranstaltung herein. Solange sich Giella mit ihm bespricht, zeigt mir Katja Kolitzus, die in der Alten Kaserne für Kommunikation und Projekte zuständig ist, die analoge Agenda des Hauses. Fein säuberlich sind alle Veranstaltungen mit Bleistift eingetragen. «Das wirkt vielleicht nicht mehr zeitgemäss, trotzdem ist die analoge Agenda immer aktuell und vor allem fehlerfrei», erklärt sie. Für das eingespielte Team funktioniert das System bestens. Seit gut zehn Jahren arbeitet Katja Kolitzus im Büro des Kulturzentrums. Ebenfalls so lange ist Philipp Hardmeyer verantwortlich für das Sekretariat und die Vermietung der Räumlichkeiten. Kilian Schmid und Giella Rossi sind seit 15 Jahren Teil des Teams, während die stellvertretende Leiterin Regula Huwiler seit Anfang an dabei ist.

 

Laboratorium für Kultur

Vieles, was heute prägend ist für die Kultur in Winterthur, hat hier seinen Anfang genommen. Die Kurzfilmtage beispielsweise, die heute jährlich über 18’000 Besucherinnen und Besucher zählen, zeigten 1997 die ersten Filme vor knapp 750 Personen in den Räumlichkeiten der Alten Kaserne. Andere Dinge können ausprobiert werden, wie das zum Beispiel die Freie Szene Winterthur mit ihren Theater-Projekten tut. Das Haus ist ein Laboratorium für neue Zugänge zur Kultur. Dazu gehört auch das Projekt «taktvoll – Kultur für Hörende und Gehörlose». Daraus entstand unter anderem das Movo-Theater, das diesen Herbst mit der Komödie «Über die Verhältnisse» durch die ganze Schweiz tourte und ursprünglich «Theatertraum» hiess, erinnert sich Giella Rossi.

Seit über 20 Jahren engagiert sich die Alte Kaserne zudem für die Comic-Szene in Winterthur. In der Ausstellungsreihe «Comics, Cartoons & Karikaturen» werden seit 1996 jeden Monat Werke von Comiczeichnerinnen und -zeichnern aus der ganzen Schweiz und dem Ausland gezeigt. Ausserdem war die Alte Kaserne 2008 zum ersten Mal Austragungsort eines «24-Stunden-Comics» in der Schweiz. An diesem weltweit im Oktober stattfindenden Zeichen-Marathon muss jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer innerhalb von 24 Stunden einen 24-seitigen Comic zeichnen.

Die Alte Kaserne blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Fast hätte der Grossbrand von 1987 das Ende des Riegelhauses an der Technikumstrasse bedeutet. Zur Diskussion stand damals auch der Abriss. Der Stadtrat entschied sich jedoch für den Wiederaufbau und die Realisierung des Umnutzungsprojektes, für das die Winterthurer Stimmbevölkerung kurz zuvor einen Kredit von 7,3 Millionen Franken gesprochen hatte. Ein Entscheid, den sie in den letzten 25 Jahren sicher nicht bereut hat.

Zwischen Zerfall und Pragmatismus
Zwischen Zerfall und Pragmatismus
Hintergrund

Wer der Zürcherstrasse entlangfährt, kommt nicht darum herum, den Blick über das Zentrum Töss schweifen zu lassen. Seit über 50 Jahren prägt der brutalistische Bau mit seinen markanten Formen und der…

Schachzüge und Tacklings
Schachzüge und Tacklings
Hintergrund

Football assoziiert man hierzulande in erster Linie mit der NFL, der National Football League der USA. Doch auch in der Schweiz ist die Sportart verbreiteter, als man meinen würde. Die Winterthur…

Kopfstand auf zwei Rädern
Kopfstand auf zwei Rädern
Hintergrund

Gleichgewicht, Konzentration, Kraft: Auf einem Kunstrad braucht man ein ganzes Bündel an Skills. Velofahren an sich kann für manche schon eine Herausforderung sein – und dann noch auf dem Lenker…

Leidenschaft auf Sand
Leidenschaft auf Sand
Hintergrund

Schnelle Pässe, kurze Strecken, kunstvolle Fallrückzieher – und eine sehr kurze Saison im Juni und Juli. In Winterthur sind gut 60 Spieler*innen dem Beachsoccer verfallen, einer Randsportart, die vom…

Wie der letzten Ruhestätte Sorge getragen wird
Wie der letzten Ruhestätte Sorge getragen wird
Hintergrund

Friedhöfe sind nie nur letzte Ruhestätten. Nebst dem, dass sie als Orte der Trauer und des Rückzugs dienen können, sind sie immer auch Betriebe mit eigenen Aufgaben, Abläufen und Zuständigkeiten. Auf…