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Eine Reise ins Bern der 1970er-Jahre

Im Text «Unger üs» von Guy Krneta werden spielerisch aktuelle Fragen behandelt. Zum Beispiel, ob Sprache «Heimat» sein kann. Am 29. November ist der Autor in der Villa Sträuli zu Gast.

Die Villa Sträuli hat diesen Herbst mit einer neuen Veranstaltungsreihe gestartet, bei der es sich ums Zuhören dreht. Der Hörsalon findet immer am letzten Mittwoch des Monats im kleinen aber feinen Salon der Villa statt und lädt ein, in heimischer Atmosphäre einem Hörbuch zu lauschen. Die Texte werden unterschiedlich dargestellt – vom Live-Hörspiel bis zum literarischen Konzert gibt es alles zu hören.

In Form eines literarischen Konzerts werden Guy Krneta und das Hausquartett am 29. November das Hörstück «Unger üs» aufführen. Das Konzert basiert auf dem von Guy Krneta geschriebenen gleichnamigen Buch. Im Hörsalon wird eine komprimierte Version der fünfteiligen Serie gespielt, die Isa Wiss, Christoph Baumann und Guy Krneta zusammen konzipiert haben. Die Idee für diese Serie stand schon, bevor es das Buch in der heutigen Form gab.

Zuvor waren es lose Texte, die Guy Krneta später zum preisgekrönten Buch (Schweizer Literaturpreis 2015) zusammengefügt hat. Erzählt wird eine Familiensaga, die in den 1970er-Jahren in Bern spielt. Protagonist und Erzähler ist ein junger Berner, der Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend erzählt.


Auch Guy Krneta war in den 1970er-Jahren ein junger Berner und so hat das Buch autobiographische Züge. «Natürlich ist immer etwas von einem selbst in den Geschichten», meint der Autor. Die Figuren seien aber nicht eins zu eins aus seinem Leben übertragen, sie vereinigten mehrere Charaktere und würden so zu einer Art Archetypen, die jeder und jede aus seinem Umfeld kenne.


«Menschen äussern sich durch Wörter», sagt er. Wenn er zum Beispiel den Grossvater sprechen lasse, werde dieser allein durch seinen Gebrauch der Sprache irgendwie greifbar. Jede der Figuren in seinem Buch kommt mehrmals vor und hat eine gewisse Art sich auszudrücken. Auch jeder Mensch habe diese «akustische Maske» (Elias Canetti): die zirka 500 immer selben, sich wiederholenden Wörter, welche eine Person ausmachen. Verdeutlicht wird diese Gleichförmigkeit beim Hörsalon durch die Musik, welche ebenfalls mit sich wiederholenden, aber variierenden Patterns arbeitet. «Es ist eine Art Jazzkonzert, mit viel Improvisation», erklärt Guy Krneta. Isa Wiss, die Sängerin des Abends, singt die einzelnen Episoden vor, ergänzt sie hie und da mit Kreischen, Lachen, Räuspern. «Durch die Darstellung von Isa wird mein Buch wieder zu etwas komplett Neuem», beschreibt Guy Krneta seinen Eindruck. Zwischendurch wird es aber auch Fenster geben, in denen der Autor selbst aus seinem Buch vorliest, zusammen mit improvisierter – oder ohne – Musik.


Das Umwandeln vom geschriebenen zum gesprochenen Wort ist Guy Krneta, der sich selbst als Spoken-Word-Autor und Schriftsteller bezeichnet, wichtig. «Die Welt ist nicht einsprachig», meint er und die Form des literarischen Konzerts sei eine Art, das darzustellen. Mit der Sprache spielen, sie benutzen, sich mit ihr auseinandersetzen, das ist Guy Krnetas grosse Leidenschaft. In seiner Jugend schrieb er Lieder: «Anfangs stellte ich mir oft die Frage, ob ich besser auf Mundart oder Englisch schreibe.» Später arbeitete er als Dramaturg und Bühnenautor. «Unger üs» ist sein zweiter Spoken-Word-Roman. Das Buch ist im Berndeutschen geschrieben, wobei sich Guy Krneta selbst eine Grammatik vorgab. «Ich habe mir einfach überlegt, wie ich die Laute abbilden würde, wie in der Phonetik, wenn man eine Sprache neu lernt.»


«Worte lösen Assoziationen aus. Wenn ich das Wort Kaufhaus verwende, habe ich dazu andere Assoziationen als beispielsweise beim Wort Migros», beschreibt Guy Krneta die Wichtigkeit des einzelnen Wortes. Gewisse Wörter werden nur von gewissen Leuten verwendet oder waren in gewissen Zeiten populär. Was man früher vielleicht als «irrsinnig» beschrieben hätte, wird heute eher als «geil» oder «cool» bezeichnet.


Guy Krneta würde sich selbst aber eher ein Buch als ein Hörbuch kaufen: «Ich habe kein Auto, da wüsste ich gar nicht, wo ich mir all die Hörbücher anhören sollte und im Zug lese oder schreibe ich lieber.» Am liebsten sind ihm aber Live-Geschichten, weil man da auch die Autorinnen und Autoren treffen kann. Es interessiere ihn, wer hinter den Texten stehe: «Einmal mochte ich einen Text plötzlich, weil ich die Person getroffen hatte und mich mit ihr unterhielt.»

 

Hörsalon mit Guy Krneta und dem Hausquartett


Mittwoch, 29. November, 20 Uhr


Eintritt: CHF 30/25


Villa Sträuli


Museumsstrasse 60


www.villastraeuli.ch

 

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