Kulturnacht

Kultur auf Wanderschaft

«Zu Gast! Streifzüge durch Winterthurer Kultur». Mit diesem Schlachtruf locktdie Kulturnacht am 23. September zu einer Entdeckungstour durch die Stadt.

Die Kulturnacht Winterthur zeigt nicht nur Kultur – sondern lässt auch neue entstehen. 15 Institutionen öffnen am Samstag, 23. September ihre Türen und laden Gäste ein. So ist das Technorama zu Besuch in der Villa Sträuli oder Sebass mit ihren Balkan Beats in der Coalmine. Mit dem Konzept «Zu Gast! Streifzüge durch Winterthurer Kultur» wird deutlich, dass Kultur eben nicht statisch, sondern dynamisch ist. Sie ist ruhelos, befindet sich in stetigem Wandel – und verändert sich je nach Umgebung, je nach Kontext. Von den 15 Begegnungen haben wir vier ausgesucht und unter die Lupe genommen.

 

«The Hobbyist: Mobile T-Shirt Exhibition»

Winterthurer Vereine zu Gast im Fotomuseum Winterthur

«T-Shirt-Druck für alle Hobbyisten» heisst es am späten Nachmittag im Fotomuseum Winterthur. Im Rahmen der Kulturnacht hat das Museum insgesamt elf Vereine eingeladen, welche ihre Hobbies präsentieren. Dabei bringen die Vereine Motive und Bilder ihrer Leidenschaften mit, die dann auf T-Shirts verewigt werden. «Sind die Sujets aussergewöhnlich, kommen die Leute ins Gespräch», so Melinda Por vom Fotomuseum. Und für Gesprächsstoff wird definitiv gesorgt: Die eingeladenen Vereine decken ein breites Spektrum der Hobbykultur ab – vom Verein Winterthurer Eisenbahn Amateure bis zum Hip Hop Lives. «Ziel des Anlasses ist die kulturelle Vielfalt der Stadt Winterthur zu präsentieren und zu fördern», meint Melinda Por. «Mit der Beteiligung an der Kulturnacht möchten wir kulturinteressierte Leute abholen, die sonst nicht ins Fotomuseum gehen würden – aber auch umgekehrt: Wir möchten ebenfalls häufige Besucherinnen und Besucher des Fotomuseums auf andere Kulturbereiche aufmerksam machen.» Der Anlass findet parallel zur Ausstellung «The Hobbyist – Hobbys, Fotografie und Hobby-Fotografie» statt, eine Ausstellung, die sich mit der Hobbykultur beschäftigt und diese fotografisch dokumentiert.

 

«Backstage – eine Begegnung mit Degas‘ Tänzerin»

Tanz in Winterthur zu Gast in der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»

 

Am frühen Abend scheint Edgar Degas‘ Tänzerin plötzlich auf dem glänzenden Parkett der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» zu stehen. Während 30 Minuten wird Tanz in Winterthur eine Performance aufführen – und damit die Grenze zwischen dem fiktiven mit dem realen Raum aufbrechen. «Mit dieser Veranstaltung möchten wir die bildende und die darstellende Kunst zusammenführen», sagt Kerstin Richter, Leiterin der Sammlung. «Verbindungsglied ist dabei das Gemälde ‹Tänzerin in ihrer Garderobe› von Degas». Das Bild, das zwischen 1878 und 1879 entstand, zeigt eine Tänzerin, die sich gerade auf ihren Auftritt vorbereitet. Durch die offene Tür gelingt es den Betrachterinnen und Betrachtern einen Blick in die Garderobe zu werfen.

So wird das Thema der Vorbereitung, aber auch der Beobachtung und der Erfahrung zum Leitmotiv der Veranstaltung. Treten die Besucherinnen und Besucher in den Eingangsbereich des Oskar Reinhart, sehen sie zunächst eine Tänzerin. Mit verbundenen Augen versucht sie ihr Kostüm anzuziehen und, mit rhythmischen Bewegungen, in ihre Rolle hineinzuschlüpfen, die sie gleich verkörpern wird. «Hierbei spielt das Erkunden, das Erfahren mit allen Sinnen, eine grosse Rolle – sowohl seitens der Tänzerin als auch der Zuschauerinnen und Zuschauer», meint Kerstin Richter. Es geht weiter in die grosse Galerie. Dort steht eine weitere Tänzerin an einer Ballettstange und bereitet sich auf ihren Auftritt vor. Das Ritual der Vorbereitung lehnt sich visuell und thematisch am Gemälde von Degas an, das sich am Ende der grossen Galerie befindet.

«Durch die Vernetzung zwischen der Sammlung Oskar Reinhart und Tanz in Winterthur, entsteht eine neue Sichtweise», sagt Kerstin Richter. «Bei einer Performance liegt unsere Aufmerksamkeit auf Körper und Bewegung. Bei einem Bild liegt sie eher auf der Oberfläche, als auf dem Plastischen. So vergessen wir bei der Betrachtung eines Bildes manchmal unseren inneren Film abzuspielen, um das Bild auch jenseits seiner malerischen Oberfläche erleben zu können.» Durch die Performance der Tänzerinnen sehen die Zuschauerinnen und Zuschauer unmittelbar, was in Degas‘ Bild passieren könnte. «Vielleicht beginnt man durch diese Erfahrung, sein Bild anders wahrzunehmen. Denn die Performance verwischt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und bricht so mit unseren Gewohnheiten der Wahrnehmung.»

 

«Spoken Words mit Lara Stoll»

Das Casinotheater zu Gast in der Stadtbibliothek

 

Rund 30 Minuten wird die Slam-Poetin Lara Stoll aus ihrem aktuellen Programm «Krisengebiete 2» performen. Eine verbale Wortschlacht an einem Ort, an dem man sie zunächst nicht erwarten würde. Denn denkt man an Bibliotheken, kommen einem leise, in ihre Bücher vertiefte Besucherinnen und Besucher in den Sinn. Wortschlachten werden dabei von diesen meist auf Papier oder im Kopf ausgetragen und kommen nur selten über die Lippen. Doch in der Winterthurer Stadtbibliothek geht es etwas anders zu und her. «Wir sind keine Bibliothek im herkömmlichen Sinne», so Christl Göth von der Stadtbibliothek. «Wir versuchen immer wieder mit neuen Formaten zu experimentieren – und die Slam-Poetry passt gut in die Stadtbibliothek. Denn letztendlich ist sie eine andere Art, an einen Text heranzugehen», meint Christl Göth. «Sie ist keine klassische Lesung, sondern wird durch performative Elemente ergänzt.» Dadurch verleiht die Slam-Poetry dem geschriebenen Wort eine andere Ausdruckskraft – verstärkt durch die Mimik und Gestik der Poetin oder des Poeten. «Zudem zeigt die Vernetzung zweier Institutionen die kulturelle Vielfalt Winterthurs. Durch solche Anlässe bleibt das Kulturleben erhalten und entwickelt eine schöne Dynamik – denn Kultur ist nie statisch», fügt Christl Göth hinzu. «Man sollte diese Form der Zusammenarbeit mehr fördern, damit die Leute auf andere Angebote aufmerksam werden – wie in diesem Fall auf das Angebot im Casinotheater.» Das war auch die Idee der Partnerschaft zwischen den beiden Institutionen: Kultur austauschen, fördern – und etwas Neues daraus entstehen lassen.


«Was git’s?» von mut0n

Coucou zu Gast im Kino Cameo

 

«Eine performative Stummfilm-Versprechung» – so heisst es im Programm der Kulturnacht. Suramira Vos und Corinne Soland alias mut0n geben während ihrem Gastauftritt im Kino Cameo altem Filmmaterial ein zweites Leben. Auf elegante, skurrile und witzige Art werden den Figuren auf der Leinwand neue Worte in den Mund gelegt – und so neue Bedeutung geschaffen. Sie reden über alles und über nichts, über sehr Intimes und allzu Allgemeines. Dabei finden auch Texte aus dem Coucou Magazin ihren Weg in die Versprechung.

Die beiden Schauspielerinnen und Autorinnen beschäftigen sich in ihrer künstlerisch-experimentellen Arbeit mit Sprache: «Wir finden es lustvoll, wenn eine Reibungsfläche zwischen Bild und Text und dadurch etwas Neues  entsteht.»

Dies konnten sie mit «Was git’s?» gut umsetzen. So begeben sich Suramira Vos und Corinne Soland mit ihrem Auftritt im Kino Cameo auf eine Entdeckungsreise durch Sprache und Bild. «Während der Versprechung vertonen wir die Stummfilme mit Inhalten, die auf heute anspielen. So sprechen die Figuren über Dinge jenseits ihres Wissenshorizonts», sagt Corinne Soland. Dies soll unterhalten, aber auch frische Perspektiven geben. «Heutzutage denken wir, dass wir über Dinge sprechen müssen, über die wir nicht wirklich Bescheid wissen», meint Corinne Soland. «Obwohl wir uns informieren, reicht unser Wissen meist nicht aus. Gleichzeitig sind unsere Alltagsgespräche oft sehr oberflächlich. Wir fragen uns: Was steckt dahinter? Wie können wir Unausgesprochenes aussprechen? Obwohl wir informiert sind, sprechen wir nicht über inhaltlich relevante Themen. Und sprechen wir über Relevantes, wissen wir nicht genug darüber – und kehren zum üblichen Smalltalk zurück. Ein Teufelskreis sozusagen.» So soll die Performance satirisch, witzig – und manchmal unverständlich oder sogar etwas absurd sein. Die in Winterthur wohnhafte Corinne Soland freut sich über die Vernetzung der involvierten Kulturinstitutionen. «Durch die Zusammenarbeit entsteht ein neues Programm: Mit den involvierten Partnern haben wir eine Schnittstelle zu Sprache, Film als auch Performance. Es ist schön, solch interdisziplinäre Projekte angehen zu können, und, wenn mehr Kultur passiert.»

 

«The Hobbyist: Mobile T-Shirt Exhibition»

16 Uhr (geöffnet bis 23 Uhr)

Dauer: 1 Stunde

Fotomuseum Winterthur

Grüzenstrasse 44 + 45

www.fotomuseum.ch

 

«Backstage – eine Begegnung mit Degas‘ Tänzerin»

18 Uhr (geöffnet bis 20 Uhr)

Dauer: 30 Minuten

Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»

Haldenstrasse 95

www.roemerholz.ch

 

«Spoken Words mit Lara Stoll»

18 Uhr (geöffnet bis 20 Uhr)

Dauer: 30 Minuten

Stadtbibliothek am Kirchplatz

Obere Kirchgasse 6

www.stadtbibliothek.ch

 

«Was git’s?»

20 Uhr (Wiederholung um 21 Uhr)

Dauer: 25 Minuten

Kino Cameo

Lagerplatz 19

www.kinocameo.ch

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