Zum Beispiel Singapur

Zum Beispiel Singapur

Interview mit Regisseur Glen Goei

1. Widerständige Räume

 

Michael Schindehelm: Mit Ihrer Theatergruppe «W!ld Rice» haben Sie 2015 Ibsens Stück «Volksfeind» von 1882 ins zeitgenössische Singapur transferiert. Ich erinnere mich an meine Zeit am Theater Basel, in der wir 1999 mit Lars-Ole Walburg dasselbe Stück produziert haben. Lars-Ole und ich wuchsen beide in der ehemaligen DDR auf, weswegen wir bezüglich Zensur und Redefreiheit eine starke Sensibilität haben. Während wir nun an diesem Stück arbeiteten, waren die Medien voll mit Geschichten über nachrichtenlose Vermögen und Nazi-Gold, und viele Schweizerinnen und Schweizer begriffen zum ersten Mal, dass die Weste ihres Landes nicht so blütenrein war, wie sie dachten. Es ging dann das Gerücht um, dass wir Jean Ziegler für das Stück einladen würden, damals einer der vehementesten Schweiz-Kritiker. Daraufhin erhielt ich einen Brief von einem der grosszügigsten Förderern des Theaters, einer in Basel sehr prominenten Person, der mich davor warnte, dass wir uns ja nicht mit Jean Ziegler einlassen sollten, weil wir ansonsten sehr viel Unterstützung aus der Basler Gesellschaft verlieren könnten. Wir entschlossen uns, diesen Brief während der Aufführung auf der Bühne lesen zu lassen und wurden kurzzeitig zu Volksfeinden in Basel... Wie erging es Ihnen mit dem Stück in Singapur, wo man das 50-Jahre-Staatsjubiläum feiern und sich selber wohl nicht hinterfragen wollte?

 

Glen Goei: Die Besprechungen und Rezensionen waren durchweg positiv, und beim Publikum hatte das Stück ein grosses Echo. Wir bekamen allerdings, wieder einmal, Ärger mit den Autoritäten, die immer damit drohen, unsere Förderbeiträge zu kürzen oder zu streichen. Wir müssen vor jeder Spielsaison unser Programm zur Begutachtung einreichen, dabei ist ihnen wohl entgangen, dass der «Volksfeind» zwar über 100‑jährig ist und in Skandinavien spielt, aber dass es sich auch in ein zeitgenössisches Singapur übersetzen lässt. Wir wurden auch gebeten, ein Stück nicht zu zeigen, das sich dem Thema der Inhaftierung der Opposition während der 1960er-Jahre widmet. Dem kamen wir vorerst nach und warten nun ab bis zur nächsten Sitzung des Gremiums, das die Subventionen für drei Jahre verteilt, dann werden wir das Stück trotzdem zeigen.

 

Damian Christinger: Das Theater bietet ja, im Unterschied zu einem Gemälde oder Roman, die Möglichkeit, die Botschaft in der Inszenierung herauszuarbeiten, und diese ist als solche vor der Premiere nicht zensierbar.

 

GG: In Singapur gibt es noch immer sehr wenig Platz für einen Diskurs. Es gibt keine Plattform, wo die Menschen ihre Bedenken frei äußern können. So wird das Theater, genau aus den Gründen, die Sie äussern, zu einem Ort, wo wir über Probleme diskutieren können, und der für die Behörden sehr schwierig zu kontrollieren ist. Auch wenn sie es die letzten 50 Jahre immer wider versucht haben. Kuo Pao Kun, den viele als den wichtigsten Dramatiker in der Geschichte von Singapur halten, wurde 1976 unter Rückgriff auf den «Internal Security Act» festgenommen und zusammen mit seiner Frau, Goh Lay Kuan, einer berühmten Tänzerin und Choreografin, inhaftiert. Dieses Gesetz, das wir von den Briten geerbt haben, soll eigentlich im Falle von Terrorismus oder anderen wirklich staatsgefährdenden Aktivitäten zur Anwendung kommen. Die letzten Künstler, die so mundtot gemacht wurden, kamen 1987 in Haft. Seither sind die Versuche des Staates, Einfluss auf die Kunstschaffenden zu nehmen, subtiler geworden.

 

2. Veränderung der Topographie

 

MS: Wenn Sie die Situation mit anderen Staaten oder totalitären Regimes vergleichen, so scheint mir hier doch eine relative Freiheit zu herrschen. Müssen Sie immer noch Angst haben, wenn Sie sich frei äussern?

 

GG: Nun, die Lage kann sich schnell ändern... Innerhalb der Behörden gilt das Rotationsprinzip. Alle drei oder vier Jahre ändert das Personal, auch der für Kultur zuständige Minister. Wann immer ein solcher Wechsel passiert, müssen wir uns neu orientieren. Es geht weniger darum, mit diesen Beamten zu kämpfen, sondern, mit ihnen zu verhandeln und sie bis zu einem gewissen Grad auch zu erziehen. Für sie ist die Kultur ein Wirtschaftsfaktor. In den 80er und 90er Jahren wurde Singapur in den westlichen Medien als kulturelle Wüste dargestellt, eine riesige Shoppingmall sozusagen, und die Regierung hat verstanden, dass wir, wenn wir ausländisches Kapital und Spitzenkräfte anziehen wollen, in Kultur investieren müssen. Dann haben wir riesige Infrastrukturprojekte aufgelegt, die neue National Gallery wurde gerade vor ein paar Wochen eröffnet. Wie diese Institutionen aufblühen sollen und wie wir sie bespielen, ist allerdings noch nicht klar. Die Idee was Kultur und Kunst sein soll, ist bei den Künstlern und den Bürokraten nicht die gleiche. Dies führt natürlich zu Spannungen. Wenn ich meine Rolle als Künstler ernst nehmen will, so muss ich die Ängste, Sorgen und Probleme meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger ernst nehmen. Theater ist für mich Teil einer Gemeinschaft. Wir müssen dieser Gemeinschaft eine Stimme geben, auch wenn uns dies Probleme bereiten könnte. Mein Kodirektor und ich haben viel über diese Themen gesprochen und uns entschieden, notfalls auch ins Gefängnis zu gehen. Ich weiss nicht, ob dies für Schweizer Kunstschaffende überhaupt ein Thema ist.

 

DC:  Singapur hat eine hohe Immigrationsrate und gilt als ein gelungenes Beispiel für das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen. In der Schweiz herrscht gerade eine sehr kontroverse Diskussion über Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten und die sogenannten «Kulturkreise». Gleichzeitig arbeiten sich auch viele Kunstschaffende an diesen Themen ab. Wie ist das in Singapur?

 

GG: Es gibt natürlich auch bei uns Probleme, auch wenn wir nicht so gerne darüber diskutieren. Besonders in den letzten Jahren hat sich die Haltung der Bevölkerung gegenüber Neuankömmlingen verändert. Und einige Kunstschaffende sprechen diese Probleme auch an. Die Lebensbedingungen der Arbeiter aus Bangladesh oder der Nannys aus den Philippinen zum Beispiel. Es gab einige künstlerische Initiativen die versucht haben, diesen Menschen eine Stimme zu geben, aber nicht genug. So ist es in Singapur seit der Gründung der Stadt ein Tabu, über Religion zu sprechen, da das Regime Angst hat, dies könne zu religiösen Spannungen führen.

 

MS: Denken Sie, dass Sie eine Schere im Kopf haben, dass Sie sich selber zensurieren und solch heikle Themen eher meiden?

 

GG: Ich hoffe nicht, nein. Dies ist eine grosse Herausforderung für alle in Singapur, die in der Kunstproduktion tätig sind. Selbstzensur wäre der Anfang vom Ende.

 

3. Die nächste Generation

 

MS: Sie haben die Veränderungen in der kulturellen Landschaft Singapurs über die letzten Dekaden beschrieben. Wie sieht es mit der Zukunft aus? Wie stellt sich die Situation für junge Kunstschaffende dar? Man könnte ja argumentieren, dass Berlin kulturell so interessant ist, weil es eine der günstigsten Hauptstädte Europas ist. Die Lebenshaltungskosten hier jedoch sind ziemlich hoch, was darauf hindeuten würde, dass es für junge Künstlerinnen und Künstler schwierig ist, hier zu arbeiten.

 

GG: Das ist tatsächlich ein grosses Problem. Die Regierung sollte in bezahlbaren Wohn- und Arbeitsraum für Kunstschaffende investieren und nicht nur in das Herlocken grosser internationaler Galerien wie bei den «Gilman Baracks» oder der «Art Stage Singapore», wo wir uns ja gerade treffen. Damit Kultur hier blühen könnte, müsste man sich auch um eine lokale Szene kümmern. So wie sich die Situation im Moment darstellt, können Viele nach Beendigung der Ausbildung nicht so arbeiten, wie sie möchten. Sie hören entweder schnell auf, Kunst zu machen oder ziehen ins Ausland, beispielsweise nach Indonesien oder eben Berlin. Hier zeigen sich die Probleme, wenn man Kultur implementiert, statt sie zu fördern.

 

Michael Schindhelm (*1960) wurde in der DDR geboren und studierte Quantenchemie in der Sowjetunion. Heute lebt er als Schriftsteller und Filmemacher in Lugano und London. Als Kulturberater wirkte er in Basel, Berlin, Dubai, Hong Kong, Moskau und Zürich.

 

Glen Goei (*1962) wuchs in Singapur auf und studierte Geschichte und Schauspiel in Cambridge. Er lebt und arbeitet als Filme- und Theatermacher in Singapur. Seine Filme werden von Miramax vertrieben und finden weltweit Beachtung. Er ist Kodirektor der unabhängigen und äusserst populären Theatergruppe «W!ild Rice». 

Der Balken in meinem Auge ist eine geteilte Rubrik von Coucou und Zollfreilager, dem Kulturmigrations-Observatorium der ZHdK. Die darin erscheinenden Interviews beleuchten die Kultur, ihre Praxen und Politiken als Frage der Multiperspektivität. Das Interview wurde von Michael Schindhelm und Damian Christinger am 21. Januar in Singapur geführt.

 

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