Die Aufgabe der Künstler*innen ist es, auf das jeweils vorhergehende Bild mit einem eigenen Bild zu reagieren. Das 49. Bild stammt von Marlene Low. Gedruckt wurde das Bild in der Ausgabe §95 April 21.
Wo bleibst du nur? Warum bist du wieder so spät dran? Du weisst doch, dass es mir schwerfällt, wenn du nicht da bist. Und ja, ja, ich weiss, irgendwann kommst du ja, einfach etwas später als geplant. Doch bis dahin muss ich warten, du weisst doch, dass ich warten muss, es irgendwie nicht hinkriege, ohne dich nicht einen Satz aufs Papier bringe, sondern mit meinen Gedanken in dieser gähnend weiten Leere herumdümple, vor der ich nun sitze, warte, einfach nur sitze und warte, als ob sie sich irgendwann von selbst füllen würde. Oder ginge es vielleicht doch ohne dich? Ich versuch’s, beginne zu schreiben, fülle die Leere, und ja, da, mit jedem Wort wird sie etwas erträglicher, weniger starrend, weniger urteilend. Aber ich komme nicht weit, schreibe, lösche, schreibe, lösche. Wo soll das nur hinführen? Dieses Schreiben – Löschen – Schreiben – Löschen, das macht einen doch wahnsinnig. Und währenddessen starrt sie mich an, gähnt mir zwischen den wenigen Buchstaben gelangweilt ins Gesicht, zwischen den Os und Us, mustert mich, mit ihren grossen Augen, erinnert mich daran, mit jedem Wimpernschlag, mit jeder Sekunde, die vergeht, dass du noch nicht da bist. Wo bleibst du nur? Manchmal frage ich mich, was du eigentlich so treibst, während ich im Leeren treibe, die Ungewissheit mich quält, auf meiner Stirn hockt, sich in meine Denkfalte hineingräbt, das potentielle Scheitern an mir nagt, so unten am Ohrläppchen, genau dort, wo es nervt. Wo bleibst du nur? Irgendwann kommst du, lächelst, sorry, für die Verspätung, reisst mich mit, wie eine Welle, löst den Knopf, an dem ich vergebens gezerrt hatte. Und ich beginne zu schreiben. Schön, dass du endlich da bist.
